Manipulierter Verkehrsunfall

Wird Ihnen vorgeworfen, den Unfall fingiert zu haben? Sie sollen den Schaden absichtlich herbeigeführt haben, um Geld von der Versicherung zu kassieren?

Versicherungsbetrug

Hin und wieder wird versucht, durch einen manipulierten, also gestellten, Verkehrsunfall Zahlungen von der Versicherung zu erhalten.

Wann liegt ein manipulierter Unfall vor?

Nach ständiger Rechtsprechung ist eine lückenlose Gewissheit im Sinne einer mathematischen Beweisführung nicht notwendig.

Indizien

Es genügt vielmehr die Feststellung von Indizien, die in lebensnaher Zusammenschau und praktisch vernünftiger Gewichtung den Schluss eines kollusiven Zusammenwirkens zulassen (OLG Köln, Urteil vom 12.04.2013, 19 U 96/12; OLG Karlsruhe, Urteil v. 04.10.2005 – 12 U 1114/04 m.w.N.; LG Krefeld, Urteil vom 25.09.2008, 3 O 101/08).

Bei einer Häufung von Anzeichen, die auf eine Manipulation hindeuten, kann die Wahrscheinlichkeit für einen sog. „gestellten Verkehrsunfall“ vorliegen.

Indizien für und gegen eine Unfallmanipulation:

1. Zeitpunkt und Ort

Auffällig sind der behauptete Zeitpunkt und die Örtlichkeit des angeblichen Unfalls. Wenn der Unfall sich zur Nachtzeit um 23:00 Uhr in einer eher ruhigen Einbahnstraße oder in einem abgelegenen Industriegebiet ereignet habe (vgl. zur Indizwirkung OLG Hamm, Urteil v. 25.04.1995 – 27 U 13/95; OLG Celle, Urteil vom 25.10.2001 – 14 U 73/01; OLG Frankfurt, Urteil v. 18.02.2004 – 7 U 87/03; LG Wuppertal, Urteil v. 28.2.2011- 2 O 160/09; LG Wuppertal, Urteil vom 18.06.2001 – 2 O 85/00).

Gegen eine Unfallmanipulation spricht, dass der Vorfall am helllichten Tag und auf einer belebten öffentlichen Straße passiert. Wer Versicherungsbetrug begehen möchte, wird darauf achten, keine unliebsamen Zeugen zu haben, den „Unfall“ also z. B. nachts und an einem abgelegenen Ort stattfinden lassen.

2. Unfallhergang

Auffällig ist, wenn die Schilderung des Unfallhergangs nicht plausibel oder nachvollziehbar erscheint, was in der Rechtsprechung ebenfalls als mögliches Indiz für einen manipulierten Verkehrsunfall anerkannt ist (KG, Urteil vom 17.04.2003 – 12 U 272/01; LG Kiel, v. 25.02.2011 – 11 O 291/09).

Hierzu ein Beispiel:
Der Unfall soll sich so ereignet haben, dass Unfallverursacher „mitten auf der Straße“ ein Radfahrer ohne Beleuchtung entgegengekommen sei. Diesen habe er erst spät erkannt, weil er „ein wenig“ durch sein Autoradio abgelenkt gewesen sei. Er habe dann versucht, nach links auszuweichen, wodurch er in das parkende Fahrzeug gefahren sei.

Dieses Verhalten erscheint nicht nachvollziehbar. Unabhängig davon, dass die Art der Ablenkung durch das Autoradio nicht nachvollziehbar ist, wäre die übliche und naheliegende Reaktion in der geschilderten Situation allenfalls ein scharfes Abbremsen, nicht aber ein gefährliches Ausweichen nach links gewesen (vgl. LG Kiel, v. 25.02.2011 – 11 O 291/09).

3. Unfallverursacher

Auffällig ist, wenn als „eigentlicher“ Unfallverursacher ein unbekannter Dritter behauptet wird, der aber weder vor Ort angetroffen wurde noch ermittelt werden konnte oder spärlich beschrieben wird und nicht wiedererkannt werden kann (vgl. OLG Hamm, Urteil v. 25.4.1995 – 27 U 13/95).

4. Haftung

Auffällig ist, wenn eine scheinbar eindeutige Haftung vorliegt (vgl. OLG Köln, Urteil v. 02.03.2010 – 9 U 122/09; OLG Koblenz, Urteil vom 04.10.2005 – 12 U 1114/04).
Bei einem eindeutigen Unfallhergang (z.B. Kollision mit einem parkenden PKW) ist die Schuldfrage eindeutig. Niemand rechnet mit Einwänden eines Mitverschuldens oder einer mitwirkenden Betriebsgefahr. Sie lässt sich leicht und ohne nennenswertes Verletzungsrisiko von den Beteiligten inszenieren (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 04.10.2005 – 12 U 1114/04; LG Kiel, Urteil vom 25.02.2011 – 11 O 291/09; LG Wuppertal, Urteil v. 28.2.2011 – 2 O 160/09; LG Wuppertal, Urteil vom 18.06.2001 – 2 O 85/00; KG Berlin, Urteil vom 17.04.2003 – 12 U 272/01; AG Essen, Urteil vom 20.10.2011 – 25 C 173/10).

5. Keine Unfallzeugen

Auffällig ist, wenn unbeteiligte Zeugen des Unfallhergangs nicht zur Verfügung stehen (vgl. OLG Köln, Beschluss v. 23.7.2010 – 2 U 32/10; OLG Hamm, Urteil v. 25.04.1995 – 27 U 13/95; OLG Frankfurt, Urteil v. 18.02.2004 – 7 U 87/03).

6. Unfallbeteiligte

Auffällig ist, wenn beide Unfallbeteiligten anderweitig und auffällig in der Vergangenheit in Verkehrsunfälle verwickelt waren und Geldnöte haben. Auffällig sind die Beteiligten, wenn beide insbesondere wegen Vermögens- oder Aussagedelikten einschlägig vorbestraft sind.

7. Unfallfahrzeug

Auffällig und typisch ist, wenn für einen gestellten Unfall das Fahrzeug des Unfallverursachers der sogenannten Luxusklasse angehört, bei dem die fachgerechte Reparatur des entstandenen Karrosserieschadens typischerweise hohe Kosten verursacht (vgl. OLG München, Urteil v. 03.10.1989 – 5 U 1689/89). Gleichzeitig kann ein solcher Schaden aber mit vergleichsweise geringeren Mitteln optisch behoben werden, so dass sich die Abrechnung auf Gutachtenbasis für den vermeintlich Geschädigten „rechnet“ (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 25.04.1995 – 27 U 13/95; OLG Köln, Urteil vom v. 02.03.2010 – 9 U 122/09; OLG Koblenz, Urteil vom 04.10.2005 – 12 U 1114/04; OLG Frankfurt, Urteil v. 18.02.2004 – 7 U 87/03; OLG Saarbrücken, Urteil vom 30.10.2012 – 4 U 259/11).

Auffällig und typisch ist, wenn auf der Gegenseite ein vollkaskoversichertes Mietfahrzeug vorliegt, sodass der Schaden für den Eigentümer des Fahrzeuges über die Versicherung abgedeckt werden kann (OLG Celle, Urteil v. 13.09.2001 – 14 U 264/00). Oder der Unfallwagen bereits alt, von geringem Wert und erst vor Kurzem auf den Beteiligten zugelassen wurde.

8. Vorschäden

Auffällig ist auch, wenn das eigene Fahrzeug bereits Vorschäden und eine besonders hohe Laufleistung aufwies, sodass der Verkehrswert des Fahrzeugs bereits erheblich gemindert war (vgl. OLG Köln, Urteil v. 23.10.1992 – 19 U 35/92).

9. Art der Schadensabrechnung

Auffällig ist, wenn der Anspruchsteller die Schäden fiktiv auf Gutachtenbasis abrechnet, so dass sich die Abrechnung auf Gutachtenbasis für den vermeintlich Geschädigten „wirtschaftlich rentiert“ (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 25.04.1995 – 27 U 13/95; OLG Köln, Urteil vom v. 02.03.2010 – 9 U 122/09; OLG Koblenz, Urteil vom 04.10.2005 – 12 U 1114/04; OLG Frankfurt, Urteil v. 18.02.2004 – 7 U 87/03; OLG Saarbrücken, Urteil vom 30.10.2012 – 4 U 259/11).

10. Bekanntschaft der Beteiligten

Auffällig und ein starkes Indiz ist, wenn sich die Unfallbeteiligten zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls kannten und miteinander beruflich oder privat verbunden waren (vgl. LG Krefeld, Urteil vom 25.09.2008, 3 O 101/08; LG Wuppertal, Urteil vom 18.06.2001 – 2 O 85/00). Eine Bekanntschaft der Unfallbeteiligten kommt bei „echten“ Verkehrsunfällen wegen deren Zufälligkeit naturgemäß eher selten vor, bei gestellten Unfällen hingegen ungleich häufiger. Sie ist gewissermaßen – auch wenn gestellte Verkehrsunfälle durchaus auch zwischen einander Unbekannten unter Einschaltung und Vermittlung Dritter vorkommen – eine Grundvoraussetzung für einen klassischen abgesprochenen Verkehrsunfall.

11. Sachverständige

Auffällig ist, wenn der vom Anspruchsteller mit der Erstellung des Schadensgutachtens beauftragte Sachverständige bereits mehrfach in Fällen als Gutachter für Anspruchsteller aufgetreten ist, in denen der Vorwurf einer Unfallmanipulation erhoben wurde. Entsprechend wurde seine Beauftragung mitunter auch schon von Gerichten als Indiz für einen gestellten Verkehrsunfall gewertet (LG Köln, Urteil vom 17.02.2011 – 22 O 460/10 – nicht veröffentlicht, aber im hiesigen Verfahren der Kläger- und Beklagtenseite bekannt; OLG Köln, Beschluss vom 12.04.2013 – 19 U 96/12, Rn. 39)

12. Verhalten nach dem Unfall

Auffällig ist, wenn der vermeintlich Geschädigte sein Fahrzeug sofort verkauft, um eine eventuelle Begutachtung durch die Versicherung zu verhindern. Dieses Verhalten spricht gegen eine Aufklärung des Unfallgeschehens.

Beweislast

Eine Unfallverabredung oder das sonstige bewusste Herbeiführen eines Unfalles durch den KFZ-Eigentümer schließt als Einwilligung in die Sachbeschädigung einen Ersatzanspruch sowohl aus § 823 BGB als auch aus § 7 StVG aus (BGHZ 71, 339, 340; VersR 1978, 865).

Hinsichtlich der Beweislast und Beweisführung gelten insofern folgende Grundsätze:

Äußere Unfallgeschehen beweisen

Der geschädigte Anspruchsteller hat das äußere Unfallgeschehen, also den Zusammenstoß der beteiligten Fahrzeuge nachzuweisen.

Selbstbeschädigung beweisen

Steht das äußere Unfallgeschehen fest, so müssen der Schädiger und sein Versicherer den Nachweis führen, dass der Geschädigte in die Beschädigung seines Fahrzeuges eingewilligt hat (BGHZ 71, 339, 343; VersR 1978, 865; 1979, 281 und 514). Aufgrund der Indizien muss zur Überzeugung des Gerichts ein Unfallhergang festgestellt werden können, der auf eine einverständliche Schädigung hindeutet. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob einzelne Gesichtspunkte für sich genommen einen gestellten Unfall beweisen. Einzelne Indizien können vielmehr ein Mosaik bilden, welches im Gesamtbild erkennen lässt, dass der Unfall fingiert ist (OLG Köln VersR 2014, 996; DAR 2000, 67; VersR 1996, 1292; Senat Beschl. v. 28.1.2004 – 11 U 149/11, BeckRS 2010, 06359). Häufen sich in auffälliger Weise Merkmale, die für gestellte Unfälle typisch sind, und bestehen hierauf deutende gewichtige Verdachtsgründe, so sind an den Indizienbeweis keine zu strengen Anforderungen zu stellen (OLG Köln VersR 2014, 996; DAR 2000, 67; OLG Celle VRS 102 (2002), 258; OLG Düsseldorf Urt. v. 28.5.2013 – 1 U 132/12, BeckRS 2014, 0128 = Schaden-Praxis 2013, 351; Geigel/Kunschert, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., 25. Kapitel Rdn. 12). Es bedarf keines lückenlosen Nachweises. Vielmehr reicht die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer Manipulation durch das Aufzeigen einer Vielzahl von Beweisanzeichen aus, die aufgrund ihrer ungewöhnlichen Häufung für einen verabredeten Unfall sprechen (etwa Senat Urteil vom 2.4.2004 – 11 U 213/02; Beschl. v. 13.2.2005 – 11 U 186/05; OLG Köln VersR 2014, 996; VersR 1999, 121 = OLGR 1998, 109; OLGR 1993, 22).

Indizienkatalog für manipulierte Verkehrsunfälle – LG Wuppertal vom 02.04.2013 – Az. 2 O 167/11

Das Landgericht Wuppertal listet in einem Urteil über ein Verfahren, das sich mit einem (angeblich) manipulierten Unfall befasste, einen ganzen Katalog von Anhaltspunkten auf, die für eine Unfallmanipulation sprechen können. Hierzu sind insbesondere folgende Indizien zu zählen:

  1. Vorgeschädigte Fahrzeuge,
  2. Altfahrzeuge oder kurzzeitig versicherte Fahrzeuge auf Schädiger Seite,
  3. Abrechnung auf Reparaturkostenbasis,
  4. einfach zu stellender Unfallhergang an abgelegenen Unfallorten zu späten Tages- bzw. Nachtzeiten,
  5. unerklärlicher Fahrfehler,
  6. fehlende Plausibilität des Unfallherganges,
  7. keine unabhängigen Zeugen,
  8. die beteiligten Personen kommen aus der Fahrzeugbranche,
  9. die beteiligten Personen sind miteinander bekannt,
  10. Vorschäden werden verschwiegen,
  11. eine Nachbesichtigung wird verhindert,
  12. sofortiger Verkauf des Fahrzeuges,
  13. Schädiger räumt Verschulden sofort und uneingeschränkt ein und die Beteiligten leben in schwachen finanziellen Verhältnissen, fahren aber gleichwohl Fahrzeuge der gehobenen Klasse.“
Rechtsanwalt Ferdi Özbay
Jetzt kontaktieren