Absehen vom Fahrverbot

Unter welchen Voraussetzungen kann vom Fahrverbot abgesehen werden?

Notwendigkeit eines Fahrverbots

Liegen die Voraussetzungen einer der Regelfälle für ein Fahrverbot wegen grober und beharrlicher Pflichtverletzung nach § 4 BKatV vor, wird zum einen die Vermutung ausgelöst, dass das Fahrverbot zur Einwirkung auf Sie erforderlich ist und zum anderen, dass die mit dem Fahrverbot verbundenen Folgen für Sie keine unangemessene Härte darstellen. Aus der gesteigerten Gefährlichkeit der Regelbeispiele folgt, dass sich bei deren Verwirklichung regelmäßig die Notwendigkeit eines Fahrverbots zur Einwirkung auf Sie aufdrängt.

Absehen stellt eine Ausnahme dar

Das Absehen vom Fahrverbot stellt daher eine Ausnahme dar. Die Rechtsprechung hat enge und strenge Grenzen für das Absehen vom Fahrverbot entwickelt.

Härte ganz ungewöhnlicher Art

Gegenüber der Behörde oder vor Gericht muss dargelegt werden, dass das Fahrverbot zu einer Härte ganz ungewöhnlicher Art führen würde. Ob die Voraussetzungen für eine solche „unzumutbare Härte“ vorliegen, hängt stets vom Einzelfall ab und lässt sich nicht pauschal beurteilen. Auch kann es bei der Ermessensausübung des Gerichts zu regionalen Unterschieden kommen.

Allgemeine Gründe

Von der Anordnung eines Fahrverbotes kann nach § 4 Abs. 4 BKatV unter Anhebung der Regelgeldbuße abgesehen werden.

Eine Handhabung bietet sich jedenfalls in Fällen an, bei denen

  • Der Betroffene Ersttäter ist
  • Sein Einkommens- und Vermögensverhältnisse unter Berücksichtigung von Unterhaltspflichten durchschnittlich sind
  • Lediglich ein fahrlässige Tatbegehung vorliegt
  • die Regelgeldbuße für den Verstoß so niedrig (also der Tatvorwurf vom Verordnungsgeber als nicht besonders gravierend vorbewertet) ist, dass sie bis zur gesetzlichen Höchstgrenze deutlich erhöht, also zumindest verdoppelt werden kann.

§ 4 Abs. 4 BKatV

Unter diesen Voraussetzungen dürfte die Anwendung von §4 Abs. 4 BKatV mit ihren finanziellen Belastungen die vom Verordnungsgeber in den Regelfällen durch die Indizwirkung aufgestellte Vorbewertung auch unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Vorgaben nicht beeinträchtigen.

Musterschreiben

Das Fahrverbot ist zur erzieherischen Einwirkung auf den Betroffenen nicht erforderlich. Der Betroffene ist als einfacher Sachbearbeiter tätig und erzielt ein monatliches Nettoeinkommen von 1.500,00 EUR, weiteres Einkommen oder Vermögen hat er nicht. Ihn treffen Unterhaltspflichten für seine nicht berufstätige Ehefrau und die beiden Kinder, für welche die Familie Kindergeld bekommt. Für die eheliche Wohnung ist eine Monatsmiete von 400,00 EUR einschließlich Nebenkosten zu entrichten. Angesichts dieser Einkommensverhältnisse und Unterhaltspflichten stellt eine Verdreifachung der Regelgeldbuße eine erhebliche finanzielle Belastung des Betroffenen und seiner Familie dar, was für den Betroffenen in gleicher Weise eine erzieherische Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme bedeuten würde wie ein Fahrverbot. Daher kann in Anwendung der § 4 Abs. 4 BKatV, § 17 Abs. 1 und 2 OWiG in der beantragten Weise vom Fahrverbot abgesehen werden (OLG Hamm NZV 2001, 436; VRR 2005, 155; Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, Rn 712).

Berufliche Gründe

In der heutigen Welt bringt der auch nur einen Monat dauernde Verzicht auf das Auto erhebliche Nachteile und Beeinträchtigungen mit sich. Gerade auf diesen Effekt zielt das Fahrverbot, um auf diese Weise eine erzieherische Wirkung beim Betroffenen für die Zukunft herbeizuführen.

Als Grundlage für das Absehen aus beruflichen Gründen hat sich unabhängig von der konkreten Art der Berufstätigkeit folgendes dreistufiges Prüfungsschema herausgebildet:

1. Stufe (Existenzgefährdung)

Hätte das Fahrverbot unter Berücksichtigung seiner Dauer eine Existenzgefährdung des Betroffenen zur Folge?

Nur eine Existenzbedrohung vermag eine unzumutbare Härte zu begründen. Hier sind die typischen und deshalb hinzunehmenden Auswirkungen des Fahrverbots abzugrenzen.

Bei Arbeitnehmern ist eine Existenzgefährdung gegeben, wenn diese im Rahmen der Arbeitstätigkeit auf das Führen von Fahrzeugen angewiesen sind (Berufskraftfahrer) und deshalb für den Fall eines Fahrverbots der Verlust des Arbeitsplatzes droht.

Bei Existenzbedrohung durch Arbeitsplatzverlust ist aber nach allg. Ansicht unter Anwendung des § 4 Abs. 4 BKatV vom Fahrverbot abzusehen( OLG Hamm NZV 1996, 118; OLG Düsseldorf NZV 1992, 373).

2. Stufe (Abwendbarkeit)

Kann der Betroffene die drohende Existenzgefährdung durch andere, zumutbare Maßnahmen abwenden?

Eine Existenzbedrohung bleibt bei der Folgebetrachtung unberücksichtigt, wenn es dem Betroffenen möglich und zumutbar ist, diese auch bei Anordnung des Fahrverbots abzuwenden.

In erster Linie ist hier die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, das Fahrverbot während des Urlaubs zu verbüßen, um die beruflichen Folgen zu vermeiden. In der Rspr. Ist anerkannt, dass vom Fahrverbot nicht abzusehen ist, wenn die Verbüßung des Fahrverbots während des zusammenhängenden Jahresurlaubs möglich ist (OLG Hamm NZV 1996, 118; OLG Düsseldorf NZV 1992, 373; OLG Köln DAR 1996, 507). Dafür muss aber feststehen, dass dem Betroffenen überhaupt ein hinreichend langer Urlaubsanspruch zusteht, was bei einem Fahrverbot von zwei oder drei Monaten im Zweifel nicht der Fall sein wird. Außerdem muss bei Arbeitnehmern dieser Urlaub seitens der Vorgaben des Arbeitnehmers zusammenhängend am Stück genommen werden können (OLG Hamm NStZ-RR 1999, 313; zfs 2002, 404).

In diesem Zusammenhang ist der Vollstreckungsaufschub von bis zu vier Monaten in § 25 Abs. 2a StVG zu beachten. Durch diese Vorschrift werden die Anforderungen an die anderweitige Abwendbarkeit verschärft, OLG Hamm NZV 1999, 214; OLG Celle VRR 2005,113; OLG Jena DAR 2005, 166). Der Betroffene hat durch die ihm hierdurch gewährte Wahl, den Beginn der Verbotsfrist innerhalb eines Zeitrahmens von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft selbst zu bestimmen, zugleich die Möglichkeit, sich frühzeitig insbesondere mit seiner Urlaubsplanung auf das Fahrverbot einzurichten und auf diese Weise dessen negative Folgen abzumindern.

Ein zweiter Ansatzpunkt für eine Abwendbarkeit liegt vor, wenn es dem Betroffenen durch organisatorische Maßnahmen möglich ist, auf das Führen eines Fahrzeuges zu verzichten. Das ist der Fall, wenn der Betroffene hinsichtlich seiner Fahrtätigkeit für die überschaubare Dauer des Fahrverbots durch andere Mitarbeiter innerbetrieblich vertreten werden kann und stattdessen im Innendienst arbeitet.

Schließlich kommt einer Existenzgefährdung keine Bedeutung zu, wenn es dem Betroffenen zumutbar ist, für die überschaubare Zeit des Fahrverbots die Kosten für Taxifahrten oder die zeitweise Einstellung eines Fahrers zu tragen.

3. Stufe (Erforderlichkeit)

Ist das Fahrverbot trotz nicht anderweitig abwendbarer Existenzgefährdung zur Einwirkung auf den Betroffenen zwingend erforderlich?

In der Rspr. der OLG wird durchgängig die Ansicht vertreten, dass auch gravierende und nicht anders abwendbare berufliche Folgen bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes hinzunehmen sind, wenn die Anordnung des Fahrverbots im konkreten Fall zwingend notwendig ist. Dabei sind zwei Fallgestaltungen einschlägig:

  • der in Rede stehende Verkehrsverstoß ist besonders schwerwiegend (OLG Hamm VRS 92, 336; OLG Düsseldorf NZV 1992, 373). Nach einem ungewöhnlich groben und verantwortungslosen Verkehrsverstoß ist daher sogar ein Fahrverbot von drei Monaten hinzunehmen, selbst wenn dies zu schwersten finanziellen Einbußen beim Betroffenen führt (OLG Hamm DAR 2005, 407)
  • Es sind erhebliche, insbesondere einschlägige Vorbelastungen vorhanden (OLG Hamm NZV 1995, 498; OLG Karlsruhe NZV 2004, 316; OLG Brandenburg DAR 2004, 460).

Einzelfälle

Von einem Fahrverbot ist aus beruflichen Gründen abgesehen worden bei:

  • Einem Geschäftsführer eines großen Industriebetriebes mit mehreren Zweistellen in den neuen Bundesländern
  • Einem leitenden regionalen Vertriebsleiter, ohne dessen Fahreinsatz dem Betrieb Insolvenz droht
  • Dem ärztlichen Leiter einer Tumorklinik, der 24 Stunden Rufbereitschaft bei einem weiten und mit öffentlichen Verkehrsmitteln schwierig zu bewältigendem Weg zur Klinik hat
  • Einem Sicherheitsingenieur, der räumlich verstreute Baustellen zu betreuen hat und kein Geld für einen Fahrer aufbringen kann
  • Einem Koch in Wechselschicht, dessen Arbeitsplatz in 25 km Entfernung mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht erreichbar ist

Ein Absehen von Fahrverbot wurde abgelehnt bei:

  • Einem Geschäftsführer einer Baufirma, der mit dem Pkw Baustellen kontrollieren und Aufträge „reinholen“ muss (OLG Hamm Beschluss vom 22.08.2002)
  • Einer mit dem Vertrieb von Finanzdienstleistungen befassten Außendienstmitarbeiterin mit erheblicher Fahrleistung
  • Einem angestellten Versicherungsvertreter (OLG Hamm, Beschluss vom 07.08.2003)

Im Gerichtsverfahren

Soweit ein Absehen vom Fahrverbot erstrebt wird, sind dem Gericht rechtzeitig vor dem Hauptverhandlungstermin Zeugen zu benennen, deren Angaben belegen können, dass die Verhängung des Fahrverbotes für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde.

Existenzverlust

Nach ständiger Rechtsprechung kann von der Verhängung eines Fahrverbots nur in Ausnahmefällen abgesehen werden, wenn dieses zu einer beruflichen Härte ganz außergewöhnlicher Art, wie dem Existenzverlust bei einem Selbständigen oder dem Verlust des Arbeitsplatzes bei einem Arbeitnehmer, führen würde. Bloße berufliche Folgen selbst von schwerwiegender Art genügen nicht, da sie mit einem Fahrverbot sehr häufig verbunden sind. Einem Betroffenen ist es grundsätzlich zuzumuten, diese Nachteile durch Inanspruchnahme von Urlaub oder der vorübergehenden Beschäftigung eines Fahrers, der Aufnahme eines Kredits oder der Kombination dieser Maßnahmen auszugleichen.
Sollte ein drohender Arbeitsplatzverlust behauptet werden, wird um Mitteilung der ladungsfähigen Anschrift des Arbeitgebers bzw. der Person gebeten, die innerhalb der Firma des Betroffenen über die Frage der Kündigung konkret entscheidet.

Sollte es sich bei dem Betroffenen um einen selbständig Tätigen handeln, sind rechtzeitig vor dem Termin aussagekräftige Unterlagen, die Aufschluss über die gegenwärtige wirtschaftliche Situation des Betroffenen geben können, wie etwa Steuerbescheide oder derjenigen Person, die die Buchhaltungstätigkeiten für den Betroffenen erledigt, mitzuteilen.

Rechtsanwalt Ferdi Özbay
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