Identifizierung anhand des Fotos durch das Gericht

Sie können nur für das zur Rechenschaft gezogen werden, was sie auch getan haben. Wenn Sie nicht der Fahrzeugführer waren, dann brauchen Sie nichts zu befürchten.

„Nicht der Fahrzeughalter, sondern der Fahrzeugführer ist für einen Verstoß im Straßenverkehr verantwortlich.“

Fahrerermittlung notwendig

Wenn Sie die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreiten, bei Rot die Haltelinie überqueren oder den notwendigen Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug nicht einhalten, kann die Behörde auch anhand des „Fotos“ nicht feststellen, wer der Fahrzeugführer ist.

Aufklärungspflicht

Im Bußgeldverfahren gilt der Grundsatz der Aufklärungspflicht von Amts wegen. Dies bedeutet, dass das Gericht die Wahrheit von Amts wegen erforschen muss und den Betroffenen keine Darlegungs- oder Beweislast trifft.

Keine Mitwirkungspflicht

Das Gericht muss feststellen, ob Sie der Fahrzeugführer sind. Sie sind nicht verpflichtet, zur Mitwirkung bei der Täterfeststellung behilflich zu sein.

Identifizierung anhand des Fotos

1. Geeignetheit

Der Richter muss zunächst einmal beurteilen, ob das Foto objektiv zur Identifizierung des Fahrers geeignet ist, also erkennen kann, ob individuelle Merkmale feststellbar sind.

Wenn das Foto zur Identifizierung des Fahrers geeignet ist und individuelle Merkmale erkennen lässt, kann der Richter einen Beweisantrag ablehnen, ohne gegen das Willkürverbot zu verstoßen. Stützt sich der Richter zur Identifizierung des Fahrers auf Merkmale, die auf dem Foto nicht erkennbar sind, dann begegnet dies jedoch durchgreifenden rechtlichen Bedenken, OLG Braunschweig, DAR 2003, 471.

Einem Beweisantrag braucht er nur dann stattzugeben (Aufklärungspflicht), wenn erkennbar oder behauptet wird, dass zwischen dem Betroffenen und der im Beweisantrag genannten Person eine derartige Ähnlichkeit besteht, dass von nahezu identischen Aussehen der beiden Personen ausgegangen werden muss, OLG Düsseldorf DAR 2001, 176 = zfs 2001, 183.

Ein Beweisantrag, bei dem die aufgrund eines Radarfotos getroffene Identitätsfeststellung durch einen namentlich genannten Gegenzeigen entkräftet werden soll, darf zumindest dann nicht abgelehnt werden, wenn die Möglichkeit nicht auszuschließen ist, dass die Überzeugungsbildung des Gerichts durch das Ergebnis einer weiteren Beweisaufnahme erschüttert werden könnte, Bay ObLG NZV 1997, 452.

2. Bezugnahme auf Foto

Verweist der Richter im Urteil (§ 267 Abs. 1 Satz 3 stopp) auf ein zur Identifizierung generell geeignetes Foto, wobei die Bezugnehme deutlich und zweifelsfrei erfolgen muss, wobei die Verwendung des Gesetzestextes dem in der Regel gerecht wird (OLG Hamm DAR 2005, 165), dann braucht er keine näheren Ausführungen zu machen und lediglich mitzuteilen, dass es sich bei dem in Bezug genommenen Lichtbild um ein nach Aufnahmeort und -zeit näher bezeichnetes Foto handelt, dass das Gesicht einer männlichen oder weiblichen Person zeigt (BGH DAR 1996, 98 = NJW 1996,1420; OLG Düsseldorf VRS 93, 178; OLG Hamm VRS 95, 232 ist es nicht ausreichend, wenn das Urteil nur Ausführungen enthält, dass das entsprechende Lichtbild in Augenschein genommen und ggf. mit dem in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen verglichen worden ist.

  • Dagegen reicht die bloße Erwähnung der Existenz eines Lichtbildes „in der Akte“ nicht aus.
  • Nicht ausreichend ist es, wenn der Richter mitteilt, dass das entsprechende Foto in Augenschein genommen und ggf.mit dem in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen verglichen worden ist, OLG Hamm NStZ-RR 1998, 238; OLG Rostock, VRS 108, 29.Hiermit wird nur der Beweiserhebungsvorgang beschrieben und nicht deutlich gemacht, dass das Foto zum Gegenstand des Urteils gemacht worden ist.
  • Eine wirksame Verweisung liegt auch nicht vor, wenn das Urteil mitteilt, ein Lichtbild sei in Augenschein genommen und mit einer Person verglichen worden, wenn dabei dessen Fundstelle in den Akten genannt wird, denn es handelt sich lediglich um die Beschreibung eines Beweiserhebungsvorgangs, OLG Hamm VRS 107, 40; OLG Brandenburg DAR 1998, 112 =VRS 94, 455.
  • Ebenfalls nicht ausreichend ist die bloße Angabe der Blattzahlen, auf denen sich das Foto befindet und die Mitteilung, dass das Lichtbild dem Betroffenen zugeordnet werden konnte.
  • Ist das Foto, etwa aufgrund schlechter Bildqualität nur eingeschränkt geeignet, so hat der Richter zu erörtern, warum ihm die Identifizierung gleichwohl möglich erscheint, OLG Jena VRS 107, 297. Die auf dem Foto erkennbaren charakteristischen Merkmale, die für die richterliche Überzeugungsbildung bestimmend waren, sind zu benennen und zu beschreiben.

3. Ausführungen zur Bildqualität

Sieht der Richter hingegen von der erleichterten Verweisung auf das Foto in den Urteilsgründen ab, dann muss er Ausführungen zur Bildqualität, insbesondere Bildschärfe, machen und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere charakteristische Identifizierungsmerkmale so präzise beschrieben, dass dem Rechtsmittelgericht anhand der Beschriebung in gleicher Weise wie bei der Betrachtung des Fotos die Prüfung ermöglicht wird, ob dieses zur Identifizierung generell geeignet ist, BGH NJW 1996, 1420. Dabei hat er die Merkmale sowie die Art und das Maß der Übereinstimmung dieser jeweils festgestellten Merkmale darzulegen. Es sind Ausführungen über konkrete anatomische Einzelmerkmale erforderlich:

  • Augen- und Nasenpartien
  • Haaransatz
  • Runde oder Ovale Kopfform
  • breite oder schmale Lippen
  • hochgezogene oder niedrige Augenbraunen

Die Mitteilung nur weniger Merkmale der abgebildeten Person ist regelmäßig dann nicht ausreichend, wenn sie auf eine Vielzahl von Personen zutrifft. Folgende Identifizierungsmerkmale sind nicht geeignet, den Betroffenen als Fahrer zu identifizieren:

  • Mittelgroße Statur
  • Schlankes Gesicht mit spitzem Kinn
  • Heller üppiger Haarschopf
  • Oberlippenbart
  • Haaransatz
  • Kinnform

Diese körperlichen Merkmale weisen nur im geringen Umfang individuelle Eigenarten auf und sind daher nur von geringer Aussagekraft. Es ist notwendig, zu beschreiben, wie diese Merkmale im Einzelnen aussehen.

4. Anthropologisches Gutachten

Zur Identifizierung von Tempo- und Rotlichtsündern werden vermehrt auch Humanbiologen und Anthropologen von den Gerichten als Sachverständige geladen. Diese sollen, auch wenn nur Teile der Gesichtspartie und der angrenzenden Körperpartie des Fahrers sichtbar sind, anhand der übrigen typischen Merkmale dennoch eine Identifizierung vornehmen können. Umstritten ist, wie viel übereinstimmende Merkmale vorliegen müssen. So werden teilweise einerseits bereits sechs Merkmale als ausreichend gehalten (OLG Hamm DAR 2000, 417, NJW 2001, 1151), während andererseits neun (OLG Frankfurt a.M. NZV 202,135), fünfzehn (OLG Celle NZV 2002, 472) oder sogar sechzehn (AG Wiesbaden DAR 1996, 157) Merkmale als nicht ausreichend angesehen werden.

Teilweise liegen aber Zweifel an der Zuverlässigkeit derartiger Gutachten vor, da es sich beim anthropologischen Vergleichsverfahren um keine mathematisch exakte Wissenschaft handele, OLG Braunschweig StV 2000, 546; vgl auch BGH NStZ 2005, 458. Auch handelt es sich um beim anthropologischen Gutachten um kein standardisiertes Verfahren. Vielmehr ist in den Urteilgründen eine verständliche und in sich geschlossene Darstellung der dem Gutachten zugrunde liegenden Tatsachen und der das Gutachten tragenden fachlichen Begründung erforderlich.

Die Tätigkeit verschiedener Gutachter erinnert dabei manchmal mehr an den Blick eines Wahrsagers in seine Glaskugel als der der Methodik eines wissenschaftlichen Sachverständigen.

  • So wurde in einem Fall ein Betroffener aufgrund eines Gutachtens verurteilt und dann im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen, da ein Zeuge, der nach Rechtskraft der ersten Entscheidung ermittelt wurde, nach Auffassung des Gerichts auf dem Beweisfoto ähnlicher als der Betroffene aussah, AG Hamburg Altona DAR 1996, 368. Das Gericht gelangte dabei zur Auffassung, der Zeuge sei der Fahrer, auch wenn ein anders lautendes anthropologisches Gutachten vorlag, in dem angeblich eine Übereinstimmung anhand unverwechselbarer individueller Einzelmerkmale des Gesichts mit dem Betroffenen festgestellt wurde.
  • Auch im Falle der Entscheidung vom AG Wiesbaden hatte der Sachverständige zunächst behauptet, dass zwischen der auf dem Lichtbild abgebildeten Person und dem Betroffenen eine hohe Wahrscheinlichkeit der Identität zwischen Fahrer und Betroffenen besteht. Nachdem im Termin ein Zeuge auftrat, der vorgab der Fahrer gewesen zu sein, musste der Sachverständige einräumen, dass beim Zeugen ebenfalls eine sehr hohe Ähnlichkeit besteht. Er könne nun nicht sagen, ob der Betroffene oder der Zeuge Fahrer zum Tatzeitpunkt gewesen sei DAR 1996, 157.
Rechtsanwalt Ferdi Özbay
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